Zuletzt konnte man am 28. Mai 2025 die verheerenden Folgen des Klimawandels in unmittelbarer Nähe beobachten. Bilder aus dem Wallis im Süden der Schweiz zeigten einen gewaltigen Gletscherabbruch, der rund 90 Prozent des Dorfs Blatten dem Erdboden gleich machte. Bereits seit einigen Jahren ist der Klimawandel besonders an den Alpen zu erkennen: Gletscher sterben und extreme Wetterlagen erfordern eine Neuausrichtung des Alpenraums wie wir ihn heute kennen.
Vor diesem Hintergrund versammelten sich am 4. und 5. Juni 2025 Experten und Entscheidungsträger aus Wissenschaft, Tourismus, Politik, Wirtschaft, Gesundheit und Zivilgesellschaft zum zweiten AlpenKlimaGipfel auf der Zugspitze, um sich dem Thema “Perspektiven für die alpine Welt im Wandel” zu widmen.
Warum eigentlich die Alpen, fragt man sich vielleicht? Für den mitteleuropäischen Raum stellen die Alpen ein Frühwarnsystem dar, da die Temperaturanstiege hier doppelt so hoch liegen wie im globalen Schnitt. Anhand von Gletscherschmelze, Biodiversitätsverlust und Naturgefahren wie Muren, Lawinen und Gletscherabbrüche ist deutlich zu erkennen, welche Gefahren auf andere Regionen und Länder früher oder später zu kommen.
Gleich zum Auftakt des Gipfels stand ein „Reality-Check“ auf dem Programm. Glaziologinnen, Meteorologinnen und Klimaforscherinnen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz – darunter Andrea Fischer (Österreichische Akademie der Wissenschaften), Marc Olefs (GeoSphere Austria), Lothar Bock (Deutscher Wetterdienst), Harald Kunstmann (KIT/Uni Augsburg) und Sven Kotlarski (MeteoSchweiz) – präsentierten neueste Klimadaten und Studienergebnisse. Die Experten machten deutlich, dass sich das Alpenklima schon jetzt dramatisch verändert hat. Laut dem Alpenklima-Winterbulletin 2024/25 stieg die Durchschnittstemperatur seit vorindustrieller Zeit bis Ende 2024 in Österreich um etwa 3,1 °C (Deutschland: +2,5 °C; Schweiz: +2,9 °C) – ein Wert weit über dem globalen Schnitt. Bis zum Jahr 2100 ist mit mindestens weiteren +2 °C Erwärmung im Alpenraum zu rechnen. Die Folgen sind bereits spürbar:
Im Alpenraum nehmen Hitze, Starkniederschläge und andere Extreme also schneller zu als anderswo. Hydrologe Harald Kunstmann warnte beim Gipfel eindringlich vor einer Zunahme von Wetterextremen und ihren Folgeschäden. Gleichzeitig betonten Fachleute wie Glaziologin Andrea Fischer, wie wichtig es ist, komplexe Klimadaten verständlich aufzuarbeiten und der Bevölkerung zugänglich zu machen – denn nur informierte Gesellschaften können den Wandel mittragen. Genau hierfür liefern neue Publikationen wertvolle Grundlagen, die beim AlpenKlimaGipfel vorgestellt und diskutiert wurden.
Im Rahmen des Gipfels präsentierten Experten vier aktuelle Publikationen, die den Wandel in den Alpen greifbar machen und Lösungsansätze bieten:
Gastgeber des AlpenKlimaGipfels sind die Region Tiroler Zugspitz Arena und die Tiroler Zugspitzbahn, unterstützt durch die Lebensraum Tirol Gruppe sowie deren Tochtergesellschaften Tirol Werbung, Standortagentur Tirol und Agrarmarketing Tirol. Der AlpenKlimaGipfel wird von Partnern wie der Elektrizitätswerke Reutte (EWR-Energie) und der Plansee Group unterstützt.
Der AlpenKlimaGipfel beschränkte sich nicht auf Zahlen und Daten – er diente auch als Forum für kontroverse Debatten und gesellschaftliche Perspektiven. In mehreren Panelrunden trafen Klimaschutz-Aktivisten auf Wirtschaftsvertreter, Politiker auf Wissenschaftler, Jung auf Alt. Dabei zeigte sich: Ein „Weiter so“ kann es im Alpenraum nicht geben, denn der Wandel überrollt die bestehenden Strukturen.
Carla Reemtsma von Fridays for Future warnte eindringlich: „Die Klimaveränderungen kommen in einem Tempo, dem wir so nicht gewachsen sind, und unsere Infrastruktur ist nicht auf drei Grad Erwärmung vorbereitet.“ Die jungen Generationen forderten mehr Tempo und Konsequenz in der Klimapolitik – und zwar jetzt, bevor es zu spät ist. Gleichzeitig mahnte die Bewegung aber auch zur Selbstreflexion: So warf etwa Aktivistin Laila Kriechbaum die Frage auf, ob radikale Protestformen immer den richtigen Adressaten treffen und ob es Wege jenseits bloßer Konfrontation gebe.
Auch Umweltorganisationen meldeten sich mit klaren Forderungen zu Wort. „Wir müssen uns an die Natur anpassen – nicht umgekehrt“, appellierte Ursula Bittner von Greenpeace und forderte einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Umgang mit unserem alpinen Lebensraum. Anstatt immer neue Eingriffe in die Landschaft zu rechtfertigen, müsse der Mensch lernen, die Grenzen der Natur zu akzeptieren und nachhaltige Nutzungsformen zu finden. Unterstützt wurde dieser Appell von Stimmen aus der Wissenschaft: Ökonom Matthias Sutter warnte vor ideologischer Polarisierung und betonte, Klimaschutz könne nur kooperativ gelingen – im Schulterschluss aller gesellschaftlichen Gruppen. Insgesamt waren sich die Diskutierenden einig, dass nur gemeinsames Handeln statt einzelner Forderungen zum Erfolg führt. Genau diese Einsicht – „Wir können nur gemeinsam gewinnen“ – prägte die Atmosphäre des Gipfels.
Ein Schwerpunkt der Tagung lag auf den Herausforderungen für den Tourismus, der im Alpenraum eine Schlüsselrolle spielt. Steigende Temperaturen und unsichere Schneelage zwingen Bergregionen zum Umdenken. In verschiedenen Panels zeigten Vertreter aus Tourismus und Wirtschaft aus Tirol, Südtirol, Deutschland und der Schweiz auf, wie man bestehende Modelle neu denken kann – von klimaresilienter Landwirtschaft über alternative Winterangebote bis hin zu energieeffizienter Standortentwicklung.
Der Tenor: Anpassungsstrategien sind unumgänglich, aber sie bieten auch Chancen für Innovation. Tirols Tourismusverbände etwa setzen vermehrt auf den Ausbau des Ganzjahrestourismus, da die Wintersaisonen vielerorts kürzer werden. „Wir müssen Sommer- und Alternativangebote stärken“, erklärte Karin Seiler, Geschäftsführerin der Tirol Werbung, und kündigte an, verstärkt in saisonverlängernde Angebote zu investieren. Konkrete Schritte in diese Richtung sind z. B. verstärkte Angebote im Bereich Wandern, Mountainbiken oder Wellness, um Gästen auch bei wenig Schnee attraktive Erlebnisse zu bieten. Viele Regionen arbeiten zudem daran, Mobilität und Infrastruktur nachhaltiger zu gestalten – etwa durch Gästekarten, die freie Nutzung von Bahnen und Bussen ermöglichen.
Was bedeutet eigentlich Tourismus? Dieser Frage möchte Michaela Gasser-Mark ebenfalls auf den Grund gehen. "Weil Tourismus an sich kein abgekapseltes System ist", so die Beraterin für touristische Nachhaltigkeit. Aufgrund der zeitlichen Begrenzung wurde diese jedoch vertagt.
Auch aus der Tourismusforschung kamen pragmatische Töne: Hubert Siller, Leiter des MCI Tourismus, plädierte für „pragmatischen Optimismus“ und verwies darauf, dass sich der Alpenraum historisch stets neu erfunden habe. „Weitermachen wie bisher hat es in den Alpen noch nie gegeben – warum also nicht mutig neue Wege gehen?“, so Siller sinngemäß. Als Beispiel nannte er die Anpassung der Wintersaison: Wo möglich, könne man etwa Saisonstarts in höhere Lagen und auf frühere Termine verlegen, um der Schneeschmelze zuvorzukommen. Zudem gelte es, verstärkt in Beschneiungsinfrastruktur und alternative Angebote zu investieren – aber immer mit Augenmaß und in Einklang mit der Natur. Große Seilbahngesellschaften und Skigebiete, die am Gipfel teilnahmen, betonten, dass man trotz aller Herausforderungen an der wirtschaftlichen Tragfähigkeit arbeiten müsse: Innovationen wie energiesparende Beschneiung, diversifizierte Freizeitangebote und Kooperationen zwischen Regionen könnten neue Chancen eröffnen. Wichtig sei, so der Tenor, Nachhaltigkeit nicht als Marketing-Trend, sondern als Notwendigkeit zu begreifen – ökonomischer Erfolg und ökologische Verantwortung sollen Hand in Hand gehen.
Ein Höhepunkt und Lichtblick des Gipfels war die Vorstellung des neuen Alpenmanifests. Dieses Manifest – eine Initiative des Netzwerks AlpNet – bündelt die zentralen Prinzipien, nach denen sich der Alpentourismus künftig richten will. Im folgenden Kapitel stellen wir es genauer vor.
Im Rahmen des Gipfels präsentierte das grenzüberschreitende Tourismusnetzwerk AlpNet sein gemeinsames „Alpenmanifest“. Neun führende Destinationen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien (u.a. Allgäu, Tirol, SalzburgerLand, Graubünden, Luzern, Wallis, Südtirol, Trentino) haben darin ein Bekenntnis zu mehr Nachhaltigkeit im Alpentourismus formuliert. „Das Alpenmanifest ist mehr als ein symbolischer Schulterschluss – es ist ein praktischer Leitfaden und ein gemeinsamer Auftrag an uns selbst“, erklärte Karin Seiler, Präsidentin von AlpNet und Chefin der Tirol Werbung, bei der Präsentation. Das Manifest umfasst zehn klare Leitprinzipien, die Gästen, Betrieben, Gemeinden und der Politik Orientierung für einen respektvollen, naturverträglichen und zukunftsfähigen Umgang mit dem Alpenraum geben:
Diese Leitlinien spannen den Bogen von Naturschutz über soziale Verträglichkeit bis hin zu klimafreundlicher Mobilität. Wichtig ist den Initiatoren vor allem die praktische Umsetzung: „Zentraler Anspruch des Alpenmanifests ist die gelebte Umsetzung“, betont AlpNet. Tatsächlich sind viele der Prinzipien in den Regionen schon heute Realität. Jede der neun AlpNet-Destinationen steuert konkrete Leuchtturm-Projekte bei, die zeigen, wie Nachhaltigkeit im Tourismus aussehen kann.
In Tirol setzt zum Beispiel das Programm „Bergwelt Tirol – Miteinander Erleben“ auf Dialog und Lenkung zwischen Wanderern, Mountainbikern und Skitourengehern, um Konflikte in der Natur zu vermeiden, während die Social-Media-Kampagne „Taktvoll“ Gäste für respektvolles Verhalten in den Bergen sensibilisiert.
Im SalzburgerLand erhalten Urlauber mit dem „Guest Mobility Ticket“ während ihres gesamten Aufenthalts kostenlose öffentliche Verkehrsmittel, und Initiativen wie „Respect & Protect“ werben für rücksichtsvollen Naturgenuss.
Im Allgäu wiederum unterstützt das Bündnis „Klimaneutrales Allgäu 2030“ über 120 Betriebe bei der CO₂-Reduktion – mit bislang mehr als 62.000 Tonnen eingespartem CO₂ – und fördert gleichzeitig regionale Produkte sowie Schulungen für umweltbewusste Gastgeber.
Diese Beispiele verdeutlichen: Das Alpenmanifest ist kein bloßes Lippenbekenntnis, sondern ein Arbeitsprogramm. Tourismusregionen ziehen an einem Strang, um den alpinen Lebensraum für kommende Generationen lebenswert zu erhalten.
Nach zwei intensiven Gipfeltagen auf der Zugspitze blieb als Kernbotschaft haften: Die Alpen stehen am seidenen Faden des Klimas, doch es gibt einen starken Willen, diesen Faden nicht reißen zu lassen. Wissenschaft, Tourismus, Politik und Zivilgesellschaft wollen gemeinsam Verantwortung übernehmen, um die notwendigen Veränderungen einzuleiten. Der AlpenKlimaGipfel 2025 zeigte eindrucksvoll, dass Kooperation über Fach- und Ländergrenzen hinweg möglich ist – und auch nötig. „Nur im Austausch über Fachgrenzen hinweg entstehen tragfähige Lösungsansätze“, betonte die wissenschaftliche Leiterin Andrea Fischer. Ziel müsse ein zukunftsfähiger Alpenraum sein, getragen von gemeinsamem Wissen, lokaler Verantwortung und interregionaler Zusammenarbeit. Genau dieses „Gemeinsam für den Alpenraum“-Gefühl wurde in allen Beiträgen deutlich.
Am Ende herrschte vorsichtiger Optimismus: Trotz aller alarmierenden Befunde haben sich die Beteiligten nicht entmutigen lassen, sondern Motivation geschöpft, den Wandel aktiv zu gestalten. Ob in Form konkreter Tourismusprojekte, politischer Weichenstellungen oder weiterer Forschung – der Gipfel hat neue Allianzen geknüpft und bestehende Netzwerke gestärkt. Klimaschutz und Anpassung sind kein Nullsummenspiel, sondern eine gemeinsame Aufgabe, lautete der Tenor. Gastgeber und Obmann der Tiroler Zugspitz Arena Theo Zoller hält fest: „Der zweite AlpenKlimaGipfel hat einmal mehr renommierte Wissenschaftler und Klima-Fachleute zusammengebracht und für regen Austausch gesorgt. Wir möchten dieses Format im kommenden Jahr weiterführen, um auch künftig eine Plattform des Klimadialogs bieten zu können“